Liebe Auswandertips-Leser,

nach etwas Ruhe hier auf dem Portal und einem persönlich sehr turbulenten, lehrreichen Jahr 2016, kurz vor den Weihnachtsfeiertagen ereilte mich eine Meldung aus einer Region der Welt, die nicht sehr oft als Auswanderungsdestination angegeben wird. Birgit ist mit ihrer Familie von Deutschland, mit einem Zwischenstopp in der Schweiz, in den Osten Afrikas, genauer gesagt nach Kenia ausgewandert. Über ihre Beweggründe und was schlußendlich den Entschluss brachte nach Kenia auszuwandern, könnt ihr hier im folgenden Interview erfahren …

 

Hallo Birgit, stell dich unseren Lesern doch bitte kurz vor.

Hallo, ich bin 40 Jahre alt und komme aus Deutschland. Die ersten zwanzig Jahre meines Lebens verbrachte ich auf dem Hobbybauerhof meiner Eltern in Niedersachen nahe der niederländischen Grenze.

Du bist 2012 von der Schweiz nach Kenia ausgewandert, wie kam es dazu?

Seit meiner Jugend sehne ich mich nach mehr Wärme und Sonnenschein – kurz: einem Leben in den Tropen. Ende 2010 lebte ich mit meiner 6-köpfigen Familie in der Schweiz, als ich einen Flyer in die Hand bekam, von einem kenianisch-schweizerischen Partnerprojekt initiiert, durch ein kenianisch-schweizerisches Ehepaar. Eine Schule, die von den Geschwistern der Kenianerin geleitet wurde lud Praktikanten (und auch Abenteuerlustige) ein, auf ihrem Grundstück in Kenia zu wohnen und an ihrer Schule als Lehrer tätig zu werden. Anfangs hatte ich nur die Idee einmal zu Besuch zukommen.

Wacht man eines Tages auf oder ist das ein langer Prozess?

Ja, es war schon ein Prozess, der sich sehr lange hingezogen hat, allerdings war es ein einfacher Prozess. Es ging mehr darum Entscheidungen zutreffen und dann natürlich auch anzupacken sie um zusetzten. Anfang 2011 stand für uns fest (inspiriert durch Freunde), dass wir uns richtig abenteuerlich in die weite Welt wagen wollen.

Warum gerade Kenia, gab es noch andere Länder auf deinem Plan oder Alternativen?

In dem Moment (ein Jahr bevor wir in Kenia ankamen) wo wir beflügelt davon waren uns in ein neues Abenteuer zu wagen, empfanden wir es so, dass uns die Welt offen steht und das wir uns erst einmal irgendwo hinwünschen können. Jeder aus der Familie durfte Wünsche äussern, was ihm wichtig ist, und was er in seinem neuen zu Hause unbedingt vorfinden möchte.

Wir berieten uns mit Bekannten und Unbekannten, die schon vor Längerem ausgewandert waren und uns mit ihren Erfahrungen helfen konnten. Wir beiden Erwachsenen machten Schnellkurse um unsere Skills zu erweitern. (z.B. Pflegeassistenz)

Wir hatten mehrere Länder im Auge und mein Mann hatte sich an verschiedenen Stellen beworden, da wir es wichtig fanden erst einen Job zu haben, bevor wir im neuen zu Hause ankommen. Aber nirgends ist er genommen worden, teils mangels Erfahrungen in der internationalen Zusammenarbeit. So erinnerte ich mich an das o.g. Angebot in Kenia – zwar unbezahlt, aber auch weiter keine größeren Ausgaben. Wir wollten für den Start sparen und uns dann vor Ort nach einem Job umsehen. (Was allerdings bis heute nie wirklich geklappt hat.)

Wie hast du dich auf diesen Schritt vorbereitet?

Seit dem Entschluss in einer ganz neuen Kultur neu anzufangen, haben wir ca. ein Jahr lang gespart, was wir vorher nie gemacht hatten. Über 30.000€ kamen am Ende zusammen. Die Wohnungseinrichtung haben wir nach und nach verschenkt bzw. gegen geringe Spenden abgegeben.

Ende 2011 ist mein Mann für eine Woche in unser zukünftiges zu Hause gereist, um sich alles anzusehen. Als dann Ende März 2016 auch das Auto verkauft war, hatten wir nur wenige Koffer mit unseren wichtigsten Sachen als unser Hab und Gut übrig. Von meiner Nähmaschine, hab ich mich in den letzten Tagen auch noch getrennt.

Gab es Schwierigkeiten für dich bei der Auswanderung? Spezielle Dokumente, Visa, etc.?

Die größte Herausforderung war für mich das „große Reinemachen“ unserer Doppelhaushälfte, da ich alles alleine bzw. mit Mann und zwei Freunden gemacht habe und unser Vermieter uns nicht so ganz wohlgesonnen war. Er drohte uns sogar mit Polizeigewalt im Land festzuhalten. Gut, dass er uns das vorher gesagt hatte, so konnten wir Hilfe vom Mieterschutzbund erfragen und Alles in Allem ist die Schlüsselübergabe für uns letztlich dann doch sehr reibungslos verlaufen.

Die letzen Tage verbrachten wir erst im Gästezimmer einer Freundin und dann im Wohnwagen einer befreundeten Familie. Und die beiden älteren Kinder (7 und 9 Jahre damals) mussten dazu noch jeden Tag zur Schule. Ihre Lehrer und die Schulfreunde haben ganz rührend von ihnen Abschied genommen und sie sind auch jetzt nach fast fünf Jahren noch bzw. immer wieder über WhatsApp in Kontakt.

Schulunterricht in Kenia unter Bäumen
Schulunterricht unter Bäumen.

Du bist nun seit 4 Jahren im Osten Afrikas, wie hast du dich selbst in diesen Jahren verändert?

Ja, sicher habe ich mich verändert und das habe ich ja auch gewollt. Ich wollte leben mit und wie die Manschen in einem der ärmsten Länder der Welt. In einem Lehmhaus, Wasser tragen von der Quelle oder dem Brunnen, Kochen auf Kohle oder Holz, … frischen Lemongrass Tee trinken, jeden Tag auf unserem wunderbar wilden Grundstück erleben. Ja, gleich ganz von Anfang an sind wir alle sechs aufgeblüht und das siebte Kind, das in der Schweiz gezeugt und in Kenia geboren wurde, hat eine Gemütsruhe und Bodenständigkeit mit in die Wiege gelegt bekommen.

Alle unsere Kinder sind zu Hause geboren. In Kenia ist es ja viel unhygienischer, als in Deutschland oder Schweiz, deswegen hatte ich zwischenzeitlich Bedenken, aber die Entbindung war so angenehm und alles lief so geschmeidig und fast wie von selbst, dass ich sehr angenehm überrascht war.

Wie kann man sich als Europäer mit allen Vorurteilen und Medienberichten rund um diesen Kontinent das Leben in Kenia vorstellen?

Meine größter Schock war die Verschmutzung des Ortes und auch die extrem unhygienischen Bedingungen in der Häusern. Viele Dinge, die man in den Medien hört, sind sicher gut recherchiert und wahr, aber man muss die Gesamtheit erleben, um das Leben holistisch zu verstehen und um die Informationen richtig einordnen zu können.

Was ich erlebe und was ich berichten kann, trifft wohl auch nur auf einen kleinen (sehr saftig grünen und üppig fruchtbaren) Teil von Kenia zu. Wir leben weit weg von touristischen Zielen, nur unter Kenianer, sogar Menschen aus den Nachbarländern Uganda, Tanzania trifft man hier eher selten.

Gab es jemals Zweifel an diesem Schritt oder Gedanken was wäre wenn…?

Zweifel kamen in den allerersten Tagen. Zu der Zeit war mein Kulturschock am größten. In dem Moment wurde mir klar: jetzt hatte ich mich entschieden und würde erstmal hier bleiben müssen, in dem Ort voller Müll. Aber alle Menschen waren so herzlich und kontaktfreudig, das hat alles wieder gut gemacht und den Fokus auf die zwischenmenschliche Kommunikation gelenkt.

Kannst du für dich sagen „es geht dir nun besser“ als vor deiner Auswanderung?

Ja, es geht mir besser. Ich war noch nie zuvor in Afrika gewesen bevor ich mit meiner kompletten Familie, einem „OneWay-Ticket“, ohne Hinterlassenschaften in Europa, am Flughafen in Nairobi mein Visa bekam. Alle Flughafenangestellten und Visa-Zuständigen freuten sich über die zahlreichen „Waltoto wazugu“ (europäische Kinder).

Ich hatte vielleicht, wie es den meisten Auswanderern gehen mag, etwas zu hohe Erwartungen an ein gutes Gefühl, dass sich bald einstellen sollte, aber Heimweh hatte ich nie. Es gab Momente, in denen ich hier arg in Schwierigkeiten verwickelt war und in denen ich mich dann doch nach Heimat gesehnt habe. allerdings habe ich nach meiner Erst-Einreise nun über 4 Jahre hier am Stück verbracht und bin erst im Juli dieses Jahres für einige Wochen nach Deutschland gereist um meine Familie dort zu besuchen. Und einige Überredungskünste meines Vaters waren auch nötig gewesen.

Welche Vor- & Nachteile bringt ein Leben in Kenia, im Vergleich zu dem in Europa mit sich?

Man wird als Weißer immer als Geldquelle angesehen aus der es nur so sprudelt, während man als Afrikaner nur den Hahn aufdrehen und die Hand aufhalten muss. Kenianer scheinen Weltmeister unter den Trickbetrügern zu sein. Insbesondere an die „besten Freunde“ haben wir das meiste Geld verloren. Ich schätze meine Freunde in Deutschland ♥.

Wäsche waschen auf Kenianisch
Wäsche waschen macht Spaß.

Ein kenianischer Nachteil ist der Dreck in den Straßen und unhygienische Zustände in den Häusern. Daran kann man sich aber gewöhnen bzw. seine eigene Hygiene einführen. Die Hausarbeit erfordert sehr viel körperlichen Einsatz, wenn man eine Leben unter Einheimischen auf dem Land führen will. In den „Reichen-Ghettos“ und in der Stadt gibt es hingegen auch Gasherde und Elektroherde.

Kochen unter freiem Himmel auf offenem Feuer
Selbstversorger kochen auf Holzfeuer.

Vorteile bei meinem Leben hier sind auf jeden Fall, dass wir viel mehr in die Natur integriert leben und uns alle auf unserem Grundstück austoben können mit: Tierhaltung, Gartenbau, Bäume klettern, Blumen pflanzen, draußen bei Mond- und Sternenschein kochen und am Feuer sitzen. Gleichzeitig haben wir auch viele liebe Nachbarn und Freunde in nächster Nähe. Ich finde das einen ganz idealen Mix, den man in industrialisierten Ländern nicht finden wird.

Wir bauen ein Haus für Tauben, Kaninchen und Hühner.
Wir bauen ein Haus für Tauben, Kaninchen und Hühner.

Auch den Hausbau kann man praktisch selbst und mit Material (Bäume, Lehm) vom eigenen Grundstück machen.

Das Leben hier ist so reich an menschlichen Kontakten und damit verbundenen Abenteuern. Bei meinen Besuchen in Deutschland fühlte ich mich sehr einsam, ob wohl Freunde und Familie da waren. Die Menschen hier haben viel Zeit für einander, da es viel weniger Freizeitindustrie und Spielzeuge gibt. Das Interesse an Ausländern und die Bereitschaft auch Weiße in der Nachbarschaft zu integrieren ist groß.

Wenn dir jemand erzählen würde, er/sie möchte gerne nach Kenia auswandern, welche 3 Ratschläge würdest du ihm heute geben?

Eigentlich drei etwas allgemeinere Ratschläge:

  1. Folge deinem Herzen.
  2. Lass soviel wie möglich zurück und richte dich hier neu ein. Ist viel einfacher und billiger und auch zufriedenstellender. Einen finanziellen Puffer und ein Bankkonto im Heimatland sollte man trotzdem behalten.
  3. Halte dich an die Einheimischen, auch wenn sie manchmal offensichtlich merkwürdige Dinge tun (man muss ja nicht alles nachmachen).

Sicherlich gibt es noch viel mehr zu erzählen über Herausforderungen mit der kenianischen Bürokratie, Jobsuche, Schulunterricht, Kulturschocks, die ich nach und nach erlebte, je nach dem wie weit ich mich auf Abenteuer eingelassen oder mich in mein Familienleben zurückgezogen habe.

Ich bin gerne bereit auf konkrete Fragen noch genauer einzugehen. Um einen ersten Eindruck zu bekommen, ist es wohl erst mal genug 🙂

 

 

Liebe Birgit, ich danke dir ganz herzlich für deine inspirierende Geschichte. Sie zeigt wieder einmal, wenn man der Stimme seines Herzens folgt, kann man über Umwege auch zu einem Ziel gelangen, dass man sich so konkret vielleicht vorher nicht einmal ausmalen hätte können, das einem dennoch voll und ganz erfüllt. Und wie schon erwähnt, vielleicht komme ich Euch eines Tages mal besuchen und mache mir vor Ort selbst ein Bild von Kenia.

Ich wünsche dir, deinen Kindern und deinem Mann, weiterhin viel Zufriedenheit, Gesundheit und Glück für euer gemeinsames Abenteuer. Wir hier, im so „sauberen“ Europa, voller Vorurteile und Bewertungen, könnten uns wahrscheinlich jede Menge von Euch abschauen und noch viel über das glückliche Leben lernen. Lasst es Euch gut gehen! Ich hoffe der Kulturschock beim nächsten Besuch in Deutschland ist dann nicht mehr so groß…

 

Sie möchten sich gerne weiter mit Birgit austauschen und mehr über eine Auswanderung nach Kenia erfahren, dann treten Sie einfach in Kontakt mit ihr. Schicken Sie eine Nachricht an birgit@auswandertips.com oder hinterlassen Sie einen Kommentar unterhalb des Artikels.